Freitag, 19. Januar 2007

Vergangenheit? Geht doch auch virtuell!

Deutschland gehen so langsam die Denkmäler aus. Nicht aus Not. Sondern für Einkaufszentren. Flaniermeilen. Hotelanlagen. Für aalglatte Häuserfronten. Bayern verlor 30.000 Gebäude in drei Jahrzehnten, die Zahl der seit Ende des Zweiten Weltkriegs abgerissenen Denkmäler übersteigt die Zahl der im Bombenkrieg zerstörten Denkmäler bei weitem.

Ist auch kein Wunder: Das Abreißen funktioniert geradezu unbürokratisch, und wenn man dann noch mit ein paar „Vielleicht-Arbeitsplätzen“ winkt, hat man die Genehmigung – so man sie denn überhaupt benötigt – ganz fix in der Tasche. Doch auch die Städte selbst geben sich lieber modern als geschichtsträchtig:

Hamburg reißt mitten in der Innenstadt, am Stephansplatz, eine alte Häuserzeile weg, Frankfurt fällt Hochhäuser aus den fünfziger Jahren, Gelsenkirchen will sein legendäres Hans-Sachs-Haus aus den Zwanzigern loswerden, in der Nähe von Köln droht dem Schloss Türnich, einem Rokoko-Kleinod, der akute Verfall, und selbst im feinen Wiesbaden scheut man sich nicht, mal eben zwei geschützte klassizistische Villen niederzulegen, aus verkehrlichen Gründen, wie es heißt.

und:

Jüngst wurde in Göttingen eines der ältesten Gebäude der Stadt zerstört, ein Fachwerkhaus von 1392, das hinter einer hässlichen Fassade versteckt lag. Ein Privatforscher hatte noch gewarnt und darauf hingewiesen, dass der Bau weder erforscht noch dokumentiert sei. Doch offensichtlich fand kein Denkmalpfleger die Zeit, der Sache nachzugehen. Das Haus wurde abgebrochen – für ein Einkaufszentrum.

Viele Häuser stehen überhaupt nur noch deswegen, weil Bürgerinitiativen Schlimmeres verhindert haben. Immerhin gibt es noch ein paar Menschen, die sich für die Vergangenheit interessieren – aus welchen Gründen auch immer.

Dennoch: Solche Nachrichten, solche Zahlen lassen mich fassungslos zurück. Wer macht denn so was? Haben die denn keine Augen im Kopf? Sehen die denn nicht, wie schön altes Mauerwerk ist, wenn sie sich schon nicht für Geschichte interessieren? Und wieso werden ein Denkmal und seine Jahre nicht mit Gold aufgewogen? So könnte man bestimmte Blinde zu Sehenden machen. Selbst Wirtschaftsmagnate erkennen dann den Wert der Denkmäler – auch wenn ihr Wert sich von dem Wert, um den es eigentlich geht, unterscheidet. Arme Teufel. Aber leider auch: Armes, bald geschichtsloses Deutschland. Doch halt – was rege ich mich eigentlich auf? Wir können uns ja alte Straßenzüge auf DVD reinziehen, ist doch eh viel geiler.

Quelle.

Trackback URL:
https://kleinstadtelse.twoday.net/stories/3207958/modTrackback

lukUHLus (Gast) - 20. Jan, 11:01

"Weg mit dem alten, kaputten Zeug"

Das erinnert mich an die Geschichte unseres schönen Schlosses der Lodrons hier in Haag a.d. Amper. Ich habe es leider selbst nie in echt gesehen, da es vor etwa 11 Jahren in einer Nacht- und Nebelaktion abgerissen wurde. Zu der Zeit bin ich grade erst hierher gezogen und dieses Verbrechen muß kurz davor oder ziemlich zeitgleich dazu passiert sein.

So weit ich von ein paar Dorfbewohnern erfuhr, war das ein schönes, kleines, altes Schlößchen aus dem ich glaube 17. oder 18. Jahrhundert, das zugegebenerweise in den letzten Jahren etwas runtergekommen, weil nicht mehr gepflegt war. Aber da sich viele im Ort (vor allem der damalige Bürgermeister) schon lange ein Altenheim wünschten (auch hier auf dem Land scheint man nicht mehr viel davon zu halten, mit seinen Eltern im Haus alt zu werden), existierte die Idee, daß man das Schloss ja entsprechend umbauen könnte. Da für Altenheime aber besondere Auflagen gelten, wäre ein Umbau erstens saumässig teuer geworden und hätte zweitens generell Probleme mit dem Denkmalschutz gegeben (z.B. Rampen für Rollstühle, Aufzüge etc.). Also kam anscheinend eine kleine Horde von geldgierigen Einheimischen (weil mit so einer sozialen Einrichtung ja auch Kohle verbunden ist, allein schon Gewerbesteuer, Kaufkraft etc.) auf die Idee, daß man das Schloss ja einfach abreissen und an seiner Stelle ein neues, modernes Altenheim hochziehen könnte. Was auch gemacht wurde. In einer absolut illegalen Nacht- und Nebelaktion wurde eine Abrissfirma damit beauftragt, sehr früh am Morgen dort tätig zu werden. Erst ein paar Lehrer der fast nebenan gelegenen Schule haben auf dem Weg in ihre Arbeit mit Schrecken gesehen, was da hinten versteckt im Schloßpark eigentlich abgeht, haben sofort Polizei und Denkmalschutz verständigt und diese haben umgehend eingegriffen - aber da war es schon zu spät. Das Schloss war zu dem Zeitpunkt schon so dermassen irreparabel beschädigt und instabil, daß es komplett plattgemacht werden musste. Die Verantwortlichen sind zwar meines Wissens nach alle ihrer gerechten Strafe zugeführt worden, aber diese ist im Falle des Verstoßes gegen den Denkmalschutz ja vergleichsweise lächerlich, weil nur Geldbuße. Das Schloss ist jedenfalls unwiderbringlich für immer verschwunden und Haag a.d. Amper also um eine Attraktion ärmer - aber wenigstens ging der Antrag für den Neubau eines modernen Altenheims auch nicht durch, d.h. wir haben da jetzt eine schöne, große Dorfwiese statt eines Betonmonsters neben dem Biergarten...

Das einzige, was noch an das Schloss erinnert sind unsere Graf-Lodron-Strasse, der in der ehemaligen Zufahrt des Schlosses gelegene, riesengroße Biergarten namens "Schloßallee" (mit seinem viel zu leckeren, unfiltrierten, schon vor 200 Jahren nebenan im ältesten noch unverändert erhaltenen Industriegebäude Bayerns gebrauten "Jägerbier", das sich die adligen Jagdgesellschaften damals schmecken ließen) - sowie ein alter Kupferstich des Schlosses, den mein Vater zufälligerweise für mich auf einem Flohmarkt in Ingolstadt entdeckt und erstanden hat.

Aber wie hat schon mein Vermieter (ein "eingeborener Haager") schon immer so schön zu allen Gelegenheiten gesagt? "Weg mit dem alten, kaputten, dreckigen Zeug - da bauen wir doch lieber was schönes, sauberes, neues hin"...

Ria (Gast) - 7. Feb, 08:40

Denkmäler - eine verlorene Chance...

Gerade kleine Orte, die von akutem Menschenmangel auf Grund von fehlenden Arbeitsplätzen heimgesucht werden, sollten die Chance nutzen, die sich durch alte Gebäude und Gemäuer bietet. Es sieht zwar so aus, als würde es sich finanziell nicht lohnen (was in manchen Fällen auch zutreffen mag), aber es ist ein Stück unserer Selbst, das erhalten werden muss.

"Du bist Deutschland."

Ja, wie soll man Deutschland sein, wenn wir es niederreißen und in einer globalisierten, unpersönlichen Art wieder aufbauen? Wie soll man noch ein heimatgefühl entwickeln, wenn es nichts gibt, auf das man stolz blicken oder verweisen kann? Gerade in meinem Heimatort hat man sich neuerdings der gesünderen Sichtweise hingegeben, mit eigenen Werten Werbung zu machen - was auch bitter nötig ist, da die Einwohnerzahlen in den letzten 10 Jahren von 19.000 auf 16.000 gesunken sind und man tagsüber hauptsächlich Rentnern begegnet, da die anderen Generationen auswärts arbeiten (oder in den zwei Schulen sind - die vor 3 Jahren noch 4 waren, aber vom Regionalschulamt wegen Schülermangels reduziert worden sind).
Nun wird auf der Homepage das Waagenmuseum, die Türmerwohnung in unserer zweitürmigen(!) Kirche und den historischen Stadtkern mit Brunnen hingewiesen.

Natürlich werden auch bei uns Altenheime gebaut (inzwischen gibt es 3), aber auf freien Flächen. Eine bewundernswerte Denkweise.

Kleinstadtellis Welt

von mittelalterlichem Kleinstadtleben, großstädtischen Ausflügen und seltsamen Anwandlungen

Dein Status

Du bist nicht Teil der Kleinstadtwelt.

Für Suchende

 

Stadtgespräch

Tja, was neues ist das...
Tja, was neues ist das leider nicht. Vor allem, was...
Oliver (Gast) - 24. Okt, 15:27
Solche "wichtigen" Meldungen...
... sollen doch nur von den Dingen ablenken, von denen...
DonJuergen - 13. Sep, 18:14
Stimmt. Ich war auch...
Stimmt. Ich war auch ziemlich entgeistert. Habe 'ne...
Trojaner2304 (Gast) - 26. Apr, 09:09
1984
Ich finde das "Ministerium für Liebe" - ebenfalls Orwell...
DonJuergen - 25. Apr, 18:51
Das passt doch sehr gut!
Das passt doch sehr gut!
DantesMuse - 19. Apr, 10:41
Ich kann da als kinderlose...
Ich kann da als kinderlose Frau nicht mitreden. Aber...
Ani72 - 19. Apr, 08:35
In der Heute Show wurde...
In der Heute Show wurde ein schöner Plakat - Schnappschuss...
Ani72 - 18. Apr, 22:35
Schön, wenn's so wäre....
Schön, wenn's so wäre. Ich Niedersächsin habe aber...
DantesMuse - 18. Apr, 21:12