Montag, 20. Februar 2012

Der Unterschied zwischen Karneval und Fasching oder: Ich muss da jetzt durch!

Ich gebe es ganz offen zu: Ich kann Karneval nicht leiden. Der geneigte Leser möge mich nicht falsch verstehen: Ich verkleide mich sehr gerne, was der Hauptgrund dafür sein dürfte, warum ich als Teenie recht häufig wie ein Grufti aussah, ohne wirklich einer zu sein. Und auch heute noch kommt es vor, dass ich, gerade für eine Kleinstadt, doch recht unkonform daherkomme. Dafür reicht mir heute allerdings eine Kleinigkeit, wie zum Beispiel eine königsblaue Samtschirmmütze mit Schleife an der Seite, eine Fleece-Jacke mit Zipfelmütze oder eine schwarze Jeans-Hose mit ordentlich Schnallen und Reißverschlüssen dran.

Karneval ist für mich allerdings die Übersetzung von »Kölle alaaf« und »Mainz, wie es singt und lacht«, meine ersten medialen Berührungen mit dem Thema. Mein Vater hat sich diese seltsamen, unglaublich unwitzigen Sendungen mit ihrem ständigen »Tädäh, tädäh, tädäh« nämlich jedes Jahr in epischer Breite angedeihen lassen - und mir und meiner Mutter gleich mit. Und ich, als wirklich kleine Kleinstadtelse, wunderte mich über die Maßen darüber, dass diese Menschen da im Fernsehen diese komischen Hüte aufhatten und irgendwie so aussahen, als hätten sie alles andere als Spaß, obwohl jeder wie blöd klatschte und auf Kommando lachte.

Etwas Anderes war der Fasching im Kindergarten. Da gab‘s immer lustige Sachen zu essen, Luftballons und Luftschlangen, der ganze Tag war irgendwie viel schöner als der normale Kindergartentag - und dann auch noch in Verkleidung. Das hat mir gefallen, hatte aber für mich mit Karneval nichts zu tun - die Leute im Fernsehen waren ja schließlich gar nicht so lustig verkleidet, und die komischen Hüte konnten mir den Bogen zum Fasching im Kindergarten so gar nicht spannen.

Heute weiß ich zwar, dass Fasching und Karneval im Grunde zwei Seiten derselben Medaille sind, aber nach wie vor kriege ich die Typen mit den komischen Hüten nicht zusammen mit der lustigen Verkleideaktion an Fasching. Und heute, als gestandene Niedersächsin über 30, käme ich auch nie im Leben auf die Idee, mich im Februar zu verkleiden, nur weil da im Kalender Rosenmontag steht - von kleinen Accessoires wie dem blauen Hut mal abgesehen, aber derlei Neckereien haben ja das ganze Jahr Saison.

Doch in diesem Jahr war mein Knirps so weit: Heute, Rosenmontag 2012, erlebt er sein erstes Kinderfasching. Wochen vorher schon begannen die Vorbereitungen. Schnell, ungefähr nach drei Minuten, war klar, dass der Knirps am Rosenmontag zum Piraten werden wird. Genau so schnell war klar, dass ein gekauftes Kostüm nicht in Frage kommt. Die meisten Dinger, die angeboten werden, landen bei mir im Geiste nämlich sofort in der Kategorie »Karneval«, weil derlei Kostüme zwar unter Umständen recht teuer sind, dafür aber umso billiger aussehen. Und ein Pirat vom Grabbeltisch verletzt mich einfach in meiner Verkleidungsehre.

Ein komplett selbstgenähtes Kostüm kam auch nicht in Betracht, eine funktionierende Nähmaschine ist nicht greifbar, und da ich schon seit Jahren an meiner ersten Gewandung per Hand nähe (was aber auch daran liegt, dass die Schwangerschaft dazwischen kam und die schon zugeschnittenen, teilweise fertig umsäumten Teile zu einer Frau passen, die eine Konfektionsgröße dünner als ich ist), war auch diese Option nicht wirklich realistisch.

Also erst einmal den Bestand checken: Ich habe eine ganze Bettschublade voller Stoffbahnen, -reste, Leder, Bänder, komischem Glitzer-Fissel-Kram und anderem Gedöhns, vieles während meiner kurzen Karriere als Theaterfundus-Extremshopperin erstanden, einiges auf der Open Hair, einer Friseurmesse, die ohne ihre Tand-Stände unendlich langweilig wäre, und einiges von Flohmärkten, Grabbeltischen oder anderen Ressourcen der modernen Verkleidungsschatzsuche. Dat Zeuch ist also schon eine andere Hausnummer, als die Plastikkostüme, die auf dem viel gerühmten freien Markt zu haben sind. Damit war die Schärpe also schon mal gesichert, das Kopftuch auch. Eine passende Hose in piratischem grau-blau fischte ich aus des Knirpsens Fundus, eine Schere sorgte für das angemessene Gezipfel am Ende der Hosenbeine - nicht zu fein, versteht sich.

Die obligatorische Augenklappe verkaufte mir eine nette Apothekerin für 1,43 Euro, nicht ohne den Knirps mit Traubenzucker zu versorgen. (Ein Phänomen: Der Knirps verbindet Apotheken ausschließlich mit Traubenzucker. Das geht so weit, dass er einfach in eine Apotheke rennt, auch wenn ich da gar nicht hin will, sich an den Tresen stellt und »Darf ich ein Traubenzucker, bitte?« fragt - und es auch bekommt, hat ja noch den Welpenbonus.)

Das Oberteil war da schon etwas schwieriger. Die Idealvorstellung war ein Hemd, am liebsten naturweiß, am liebsten zum Schnüren. Aber unter keinen Umständen mit normalem Hemdkragen. Für mich der Zeitpunkt, einmal bei Leonardo Cabone vorbeizuschauen. Da gibt‘s schließlich Fantasy-Klamotten für relativ kleines Geld (ja, Fantasy-Klamotten, auch wenn er von »Historical Clothing« spricht). Doch ein Blick auf die Kinderhemden reichte aus, um die Idee flugs wieder zu verwerfen: 25 Euro für ein strahlend weißes Hemd, ohne irgendein Rüschengedöhns am Armabschluss, mit einem mit schwarzem Band eingerahmten, offenen Kragen, der die halbe Brust sehen lässt, woran auch das schwarze Band, mit dem das Ding zu schließen ist, nichts ändert? Nö, Leo.

Also ab zum nächsten Shop. Tauschticket, in diesem Fall. Ich habe ja auch noch ein paar Tickets auf Halde, und vielleicht ... ja: Ich hatte Glück. Ein weißes Hemd ohne Krawattenkragen, ein wenig den Trachtenhemden nachempfunden, aber ohne so Schnökereien wie einem Edelweiß oder anderem unpassenden Schnick-Schnack drauf: Ertauscht!

Zum Glück bin ich Besitzerin eines Nahtauftrenners, der Kragen, Bund, Armbündchen und Knopfleiste ganz hervorragend ihrer Nähte berauben konnte. Tat mir ja irgendwie leid um das schöne Hemd, aber für einen guten Piraten muss man Opfer bringen können!

Eigentlich hätte der Knirps durchaus so losgehen können, aber die entscheidenden Zutaten für den wirklich perfekten Piraten fehlten noch: Ein Säbel, damit er ordentlich piratenmäßig herumfuchteln kann, und ein Make-up, dass wirklich keinen Zweifel daran lässt, dass wir es hier mit einem ausgemachten Piraten zu tun haben.

Die Suche nach einem Säbel in meiner Kleinstadt erwies sich als äußerst unfruchtbar, schließlich misst der Knirps nur 90 Zentimeter, die Läden in meiner Kleinstadt scheinen allerdings zu glauben, dass Knirpse eigentlich Riesen sind - oder dass sich nur überdimensionale Säbel verkaufen lassen. Die paar Säbel, die ich finden konnte, waren nämlich alle in etwas so groß wie mein Knirps, also kein Option.

Da konnte mir allerdings ebay weiterhelfen: Ein Säbelset für 2,49 Euro und erträglichen Versandkosten war ganz schnell meins, auch wenn eine Augenklappe dabei war, die ich gar nicht mehr benötigte (und so auch nicht verwendet hätte: Auf der Klappe muss natürlich ein Piratenflaggensymbol drauf sein - aber dafür ist das Gummi dann weiß. Weiß! Super!), und drei Goldstücke, die genau wie der Säbel, der schon heute morgen so locker auf seinem Schaft saß, dass ich nicht wirklich glaube, dass er diesen Tag übersteht, das extreme Wohlwollen meines Knirpses errangen. Passt also.

Fürs Make-up war ein Besuch in der Bücherei nötig: Flugs drei Schminkbücher ausgeliehen, in denen was Brauchbares zu finden war, zu Hause das Beste ausgewählt - und da ich ja ein Schminkstift-Set zu Hause habe (ja, ich verkleide mich auch mal mit seltsamen Make-up, ich mache so was dann aber zu Halloween, gestandene, erwachsene Niedersächsin, die ich bin), kann‘s doch jetzt losgehen, oder?

Nein. Denn dieses wunderbare Make-up-Beispiel hatte nicht nur die buschigen Augenbrauen, einen Bart und eine Narbe zu bieten, sondern auch einen sehr glaubwürdigen Drei-Tage-Bart. Dafür braucht es allerdings einen groben Make-up-Schwamm. Der Leser möge mir glauben: Ich war in jedem nur möglichen Laden meiner Kleinstadt, um so einen Schwamm zu ergattern - keine Chance. Da erst ist mir überhaupt aufgefallen, dass es relativ schwer ist in dieser Kleinstadt, sich mit nötigen Make-up-Utensilien auszustatten. Nirgends war auch nur ein Make-up-Schwämmchen in Sicht, nicht ein Pinsel, nothing.

Ich hoffe ja immer noch, dass ich einfach zu blind bin, der Zweifel nagt an dieser Hoffnung allerdings sehr stark. Da sieht der geneigte Leser einmal, dass ich zu Zeiten, als ich mich mit den entsprechenden Make-up-Pads, kleinen Pinseln, großen Pinseln, feinen Pinseln oder Eye-shadow-Pinseln ausstattete, nicht unbedingt der Maxime »Act local« verschrieben hatte - und außerdem, dass ich meine Make-up-Gerätschaften nicht sonderlich oft verwende.

Also wieder zu ebay - nach einem unzufriedenen Besuch bei mehreren Theater-make-up-Shops, die diesen Schwamm zwar für schlappe 1,80 Euro im Angebot hatten, aber eine Mindestbestellsumme von 20,00 Euro erwarteten, von den 6,90 Euro Versand ganz zu schweigen. Und eBay half auch hier: Gleich drei Schwämme (grob, fein und noch feiner) für drei Euro, schließlich ist es sicher nicht falsch, sich auch mit feinen Schwämmen einzudecken, in Anbetracht des Make-up-Schwamm-Defizits in meiner Kleinstadt.

Nun also gestern die Generalprobe - die in die Hose ging (glücklicherweise, glaubt man dem Aberglauben). Der Knirps wollte zwar schon wie ein Pirat geschminkt sein, sah aber gar nicht ein, wozu er dafür den Kopf stillhalten soll. Der Drei-Tage-Bart war viel zu üppig geraten, die Augenbrauen waren nicht wüst, sondern traurig verschmiert, und der Oberlippenbart sah fast so aus, als hätte der Knirps sich selbst geschminkt.

Mein Bammel also, den Knirps zum ordentlichen Piraten zu machen, war entsprechend groß. Am Montag morgen? Mit dem Trödelhannes? Und erst noch frühstücken? Und ein wenig inhalieren, um den Husten, den wir beide seit ein paar Tagen wieder haben, in seine Schranken zu weisen?

Doch was soll ich sagen: Das Ergebnis war genial. Zwar habe ich an diesem Montag Morgen den Oberlippenbart noch drei bis fünf Mal an meiner Oberlippe getestet - und so ein geschminkter Piratenoberlippenbart an einer über 30-jährigen Frau im Business-Look sieht unglaublich dämlich aus -, zwar ist der Knirps umhergesprungen wie ein Flummi, weil er gehörig aufgeregt war: Stillgehalten hat er plötzlich dennoch in den entscheidenden Momenten - auch wenn er nach jeder kleinen Schminkaktion erst einmal zum Spiegel lief, um das Ergebnis zu begutachten. Im Ergebnis kann ich sagen: Ja, so kann man aussehen zum ersten Fasching.

Zum Glück habe ich jetzt ein Jahr Zeit, um mich zu erholen.

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Das passt doch sehr gut!
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